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Sitten & Gebräuche


Sitten und Gebräuche
aus der Chronik der Stadt Rheinau, a.a.O.

Im Jahreslauf:

Weihnachten:
Die Adventszeit wurde still und mit wöchentlichen Abendgottesdiensten begangen.
Später, nach der Gründung von Vereinen, etwa Mitte 19. Jhdt, fanden in der
Vorweihnachtszeit die Weihnachtsfeiern dieser Vereine, mit Laienspiel und Tanz, statt.

Der 6. Dezember, der Nikolaustag, wurde gar nicht beachtet.

Die Weihnachtsfeiertage waren ein Fest der Familie, den Kindern erschien am Heiligen
Abend der „Pelznickel“ oder „Hans Trapp“. „Hans Trapp“ geht zurück auf ein
Raubrittergeschlecht um 1200 bis 1300 auf der Burg Berwartstein (Erlenbach bei
Bad Bergzabern), das dort die Gegend unsicher machte. Der Nikolaus war im
protestantischen Hanauerland kein Begriff.

Die Geschenke waren eher bescheiden: Äpfel, Nüsse, Bredele (Weihnachtsgebäck),
das reparierte Schaukelpferd oder den frisch hergerichteten Puppenwagen vom Vorjahr.

Neujahr:
Am 1. Januar besuchen die Kinder ihre Großeltern und Paten, tragen ein Gedicht vor
und wünschen zum neuen Jahr Glück und Segen. Dafür bekommen sie von ihnen
eine große „Bretstell“ = Brezel.

Fastnacht:
Die heute üblichen Fastnachtsbälle kamen erst nach dem 1. Weltkrieg, in den
zwanziger Jahren, in Mode.

Ein alter Brauch ist das Eierbetteln von Haus zu Haus am Fastnachtsdienstagmorgen
(in Freistett, Linx bspw. am Rosenmontag). In Rheinbischofsheim gibt es eine
längere Fastnachtstradition.

Passionszeit und Ostern:
Am Palmsonntag gingen die unverheirateten Frauen zum Abendmahl, die ledigen
Männer am Karfreitag, Eheleuten war der Ostersonntag vorbehalten. Karfreitag
gabs kein Fleisch, höchstens Fisch, wobei die Freitage allgemein fleischlos waren.

In der Passionszeit gab es keine öffentlichen Tanzveranstaltungen, auch hat man
vermieden in der Zeit Hochzeiten zu feiern.

Gründonnerstag bereitete man aus 9 verschiedenen Kräutern ein Gemüse zu.
Es wurde alles verwendet was den Winter überlebt hatte oder schon frisch
ausgetrieben hat. Dazu gab es Bratwürste.

Für die Kinder wurden am Ostersonntag gefärbte Eier uns süße Kleinigkeiten versteckt.
die Eier waren mit Zwiebelschalen braun gefärbt und mit Speckschwarte
glänzend gerieben.

Die frischen Eier vom Karfreitag wurden am Ostersonntag den Männern zum
Frühstück serviert, sie sollten die Manneskraft stärken und Krankheiten abhalten.

Himmelfahrt:
Der 1. Mai war kein Feiertag, er wurde erst durch die Nationalsozialisten als
„Tag der Arbeit“ eingeführt.

In jüngerer Zeit haben die Vereine/Stammtische als Tradition am Vorabend zum
1. Mai den mit bunten Papierbändern geschmückten „Maie“ an ihrer Stammkneipe
aufgestellt, wobei es regelrechte Wettbewerbe gab wer den größten und schönsten
Baum hatte. Der Baum musste bis Mitternacht bewacht werden damit er nicht von
„Rivalen“ (oder einfach nur um die anderen zu ärgern) beschädigt oder geklaut wurde.

Der Himmelfahrtstag war der erste Frühlingstag, der mit Tanzveranstaltungen und
„Maitouren“ gefeiert wurde. In der Nacht vor Himmelfahrt stellten die jungen Männer
„ihren“ Mädchen einen gezierten Maien.

Mädchen, deren Lebenswandel als nicht so einwandfrei gesehen wurde, bekamen in
dieser Nacht eine „Spur“ (Kalk oder Sägemehl) gelegt, die zum Farrenstall führte.
Hatte das Mädchen gar ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann wurde die Spur
von Haus zu Haus geführt.

Pfingsten:
Markt --> siehe Geschichte


Landwirtschaftliche Bräuche:


Tabakernte
Der Tabak musste noch am gleichen Tag „angestochen“ (aufgefädelt auf Schnüre) werden,
an dem er geerntet wurde, und gleich im Tabakschopf zum Trocknen aufgehängt.
Nach getaner Arbeit –meist gegen Mitternacht- wurde dann ein kleines Vesper gereicht.
Es wurden Geschichten und „Geschichtchen“ erzählt, Most getrunken, gesungen und so
wurden viele Volkslieder von Generation zu Generation weiter gegeben.

Erntedank:
Nach dem Einbringen der Getreideernte fand am letzten Sonntag im August oder ersten
Sonntag im September ein Erntetanz (Erntedankfest) statt. Das kirchliche Erntedankfest
feierte man gewöhnlich am ersten Oktobersonntag.

Schlachten:

Ein bis zweimal im Jahr war Schlachtfest, aber nur in der kühlen Jahreszeit, Kühlschränke
gab es noch nicht. Wurst, Wurstsuppe, Innereien wurde an Verwandte und Bekannte verteilt
oder sie holten sie selbst in der Milchkanne ab. Im Gegenzug erhielt man dann auch etwas,
wenn die anderen geschlachtet haben. Beinfleisch wurde als Salzfleisch in den nächsten zwei
bis drei Wochen gegessen, Bratenfleisch in Weckgläser oder Dosen eingemacht. Bauchfleisch
(Speck) oder Schinken räucherte man im eigenen Kamin. Mit zunehmen der Kohleheizung
wurden extra Räucherkammern gebaut in denen mit langsam abbrennendem Sägemehl
Rauch erzeugt wurde.

Brot backen, Rahmkuchen:
Jedes Bauernhaus verfügte über einen Backofen in dem das eigene Brot (8 bis 10 Laibe je
nach Familiengröße) gebacken wurde. Am Vorabend wurde der „Deisem“ (Vorteig) aus Mehl,
Hefe und Milch gemacht. Am Backtag selbst der ganze Teig in der Backmulde gemischt, „haben“
(aufgehen) lassen, Brotlaibe formen und „haben“ lassen. Eine sehr Zeit- und
Arbeitsintensive Sache.

Höhepunkt vor dem Backen war der Rahmkuchen vor dem letzten „haben“ der Brotlaibe.
Der ursprüngliche Rahmkuchen im Hanauerland bestand aus dünn ausgewelltem Brotteig,
bestrichen mit Sauerrahm und zerlassener Butter. Eine besondere Spezialität –aber nur nach
dem Schlachten- war der Griebenkuchen (Grieben schwimmen beim Auslassen auf dem Schmalz),
dazu gab es meist „Grumbieresupp“. Belegen mit Zwiebeln, Speck, Käse  usw. wurde später vom
elsässischen Flammenkuchen übernommen.

Zu Stuwe- un zu Liechtgehen:

Am 11. November „Martinstag“ ist Zahltag für das abgelaufene Pachtjahr und das Ende des bäuerlichen Jahres. Da begann früher auch die Licht und Spinnstubenzeit.

 Zue Licht gehen war früher eine Einladung der Nachbarn und so etwas wie ein gesellschaftliches Ereignis. Die Frauen saßen auf der Bank am Kachelofen, die Männer an dem Tisch in der Stube zum Karten spielen bei Most oder Wein. Die Frauen brauchten keinen Tisch zum stricken, zum spinnen und erzählen, gemeinsam gesungen wurde auch.

Zu Essen gabs Schmalz und vom selber geplumpten Butter auch Butterbrot, Schläggel und Speckbrot, Nüsse, Most oder Wein und auch mal ein Schnäpsel.

Wenn Kinder dabei waren wurden auch Spiele gemacht, Mühlspiel mit schwarzen und weissen Bohnen, Dame, Blinde Kuh, Mensch ärgere dich nicht. Bei den Spielen verging die Zeit und keiner hat noch ans „Hämgehn“ gedängt.

Gedichte und Sprüche wurden auch vorgetragen auch Witze wurden gerissen, die nicht immer Stubenrein waren.

Das „Lichtgehen“ entwickelte sich mitunter auch zu einem Heiratsmarkt. Gefiel einem Burschen ein Mädchen besonders gut, schuf er für deren Spinnrad eine Verzierung, die sogenannte Gabel und damit hatte er sich dann eine „aufgegabelt“.

Zue Licht gehen wird bis zum 2. Februar „Lichtmess“ abgehalten danach begann für die Bauern die Feldarbeit, die Weihnachtszeit war offiziell zu Ende.

Ein weiterer geläufiger Spruch wahr, Sankt Martin macht Feuer ins Kamin; dann, o Mädel, greif zum Rädl und „Lichtmess, ‘s Spinne’ vergeß, bie dag znacht ess.


Flachs- und Hanfanbau:

Er wurde meist gewerblich betrieben, in jedem Ort gab es Hanfrötzen (bspw. in Hausgereut
die „Reese“) in denen der Hanf gewässert wurde. Auch befand sich in jedem Ort eine
Weberei. Mehr zu den Gerätschaften und Verarbeitung siehe Heimatmuseum
(der Stadt Rheinau).

Gesponnen und gewoben wurde bis in die zwanziger Jahre (20. Jhdt.).  Die Braut sollte
über eine selbstgesponnene Aussteuer von 12 Leintüchern, 12 Bettbezügen, 12 Kopfkissen,
12 Handtücher und 12 Taschentücher –alles versehen mit selbst gesticktem Monogramm)-
verfügen. Männer erhielten ihre Aussteuer 6-fach.

Gesponnen wurde nur bis Maria Lichtmeß (2. Februar), weil dann die Tage wieder
länger wurden. Lichtmeß, Spinne vergeß, bis Da z`Nacht eß.“

Weiden schneiden:
Zum Binden der Garben (Getreide) und Holzwellen (Reisig) verwendete man Weidenzweige
(„Wedde“), „Garwestrickle“ usw. gab es erst vor dem 2. Weltkrieg.
Tag und Uhrzeit, wann im Rheinwald („uff de Rhininsle“) Weiden geschnitten werden
durften, gab der „Bott“ bekannt, die Regeln wurden vom Waldhüter überwacht.

Das „Eisen“:
Wenn im Winter auf Bächen, Flüssen, Altrheinarmen eine etwa 10cm starke Eisschicht war
wurde „geeist“. Es gab noch keine elektrischen Kühlschränke. Brauereien, Gaststätten und
Metzgereien hatten einen eigenen Eiskeller. Das Eis der Bäche usw. wurde in Platten gehauen,
mit Eishaken an Land gezogen und mit dem Fuhrwerk in den Eiskeller gebracht. Es handelte
sich um eine Gemeinschaftsarbeit ohne Entlohnung. Dafür durften die Helfer im Sommer
auch ein Stück Eis holen.



Ablauf des Lebens:

Geburt:
Über die Geburt wurden den kleinen Kinder häufig Märchen erzählt: Kinder werden vom
Storch gebracht, kommen aus dem Wasser (Brunnen, Bach oder See) usw.. Die Erklärung
mit dem Wasser ist für Kinder einfach: Schauen sie auf die spiegelglatte Wasseroberfläche,
blickt ihnen ein Kindergesicht entgegen. In Freistett kommen die Kinder vom „Kindelsbrunnen“.

Geburt und Wochenbett spielten sich zu Hause ab, eine Entbindung im Krankenhaus
kannte man nicht.

Die Taufe:
musste zwei bis drei Wochen nach der Geburt erfolgen, vorher durfte der Säugling „nicht auf
die Straße“ weil er ungetauft nicht vor bösen Geistern geschützt war. Bei den Evangelischen
üblich waren 4 Paten, 2 Vettern und 2 Götteln. Bis zum 1. Weltkrieg schenkte man den
Kindern künstlerisch gestaltete „Göttelbriefe“ mit dem Tauftext (siehe auch hier Heimatmusem).
Zur Taufe ging man zu Fuß oder fuhr mit dem „Bännewägele“, an die am Wegesrand stehenden
Kinder wurden „Gutsele“ (Bonbons) verteilt.

Konfirmation:
Bis 1920 gingen Mädchen noch in der Hanauer Tracht zur Konfirmation, später zum
Vorstellsonntag Lätare) in einem bunten Kleid und zur Konfirmation (Judika) in
feierlichem schwarz mit einem Kränzchen im Haar. Die Buben erhielten zur Konfirmation
meist den ersten Anzug mit langen Hosen. Die Kirche wurde mit Efeu, Buchs, weißen
Papierrosen, Girlanden festlich geschmückt.

Spielbuben:
Dem Wehrdienst zur Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht (in Baden seit 1814)
geht die "ärztliche Musterung“ voraus, in der der Tauglichkeitsgrad festgestellt wird.
Die als „tauglich“ eingestuften Wehrpflichtigen nennt man „Spielbuben“. Es wurde
immer der ganze Jahrgang eines Ortes zum gleichen Termin zur Musterung einberufen.
Die Feststellung, dass man tauglich st, war dann Anlass für eine große Feier.
Die Spielbuben schmückten ihre Hüte mit bunten Blumen und farbigen Bändern
unterschiedlich lang und breit, als Strumpfbänder für die spätere Braut und als Zierde
für das erste gemeinsame Spinnrad), um 1870 verwendete man an Stelle
von Blumen blühende Goldähren.
Meist gingen die Spielbuben mit einem geschmückten Leiterwagen durch das Dorf
und sammelten Geld fer d`Schbelbuewe“ um dann genauso von Gasthaus zu Gasthaus
zu ziehen und das Geld auszugeben. Der Abschied vom Zivilleben dauerte oft drei Tage,
es wurde viel getrunken und auch mancher Schabernak getrieben.

In den letzten Jahren wurden die Späße dermaßen derb und unvernünftig, dass das
Verfahren der Musterung geändert wurde und keine kompletten Jahrgänge mehr auf
einmal gemustert werden. Die Spielbuben –wie oben beschrieben- gibt es heute bei
uns nicht mehr.

Hochzeit:
Zu Hochzeitsbräuchen gäbe es viel zu schreiben, wir empfehlen die Lektüre der Chronik oder
auch der Volkstümlichen Überlieferungen in Württemberg, die Bräuche unterscheiden sich von
Ort zu Ort mal mehr oder weniger.

Hochzeiten im Hanauerland wurden immer sehr aufwändig gefeiert (meist 2 Tage), es wurde viel
und gut gegessen, ebenso beim „Schäpelhirsch“ (Vorfeier vor der Hochzeit, heute Polterabend),
1740 wurde sogar der „Schäppelhirsch“ wegen der sich eingeschlichenen Üppigkeiten verboten.
Der Begriff kommt vom Schäppel, der Brautkappe, und von Hirse (Hirsch) als eine der ältesten
Getreidearten. Die Brautjungfern brachten am Abend vor der Hochzeit der Braut den Schäppel
und wurden zum Dank mit Hirsebrei verköstigt.

Vor dem Kirchgang musste das Brautpaar gemeinsam einen Teller Suppe essen. Den Weg zur
Kirche ging man zu Fuß oder fuhr im „Bännewägele“.  Die „Rangfolge“ war vorgegeben:
Zuvorderst Bräutigam mit Vater und Schiegervater, gefolgt von den männlichen Gästen,
anschließend Blumenkinder vor Brautführer mit Braut und Brautjungfern, zum Schluss die Frauen.

„Gefallene Bräute“ durften keinen Haarkranz tragen, sondern einen Knoten wie verheiratete Frauen.

Vor der Kirche hat die Dorfjugend „gespannt“, d. h. ein rotes, verziertes  Band versperrte den
Brautleuten den Weg und musste mit Geld ausgelöst werden.

Das eigentliche Hochzeitsessen war traditionell Fleischknöpfelsuppe, Rindfleisch mit Merrettich,
Salat von roten „Rahnen“ (Rote Bete).

Beerdigung:
Die Toten wurden zu Hause aufgebahrt, am ersten Abend kamen die Angehörigen
als „Wachen“, m zweiten Bekannte und Nachbarn. Zwei Buben aus der Nachbarschaft
(angehende Konfirmanden) gingen im ganzen Ort von Haus zu Haus, um die Beerdigung
anzusagen, bspw.: „Morn Nomeda um 3 wurd’s Schealerhanse Vid beerdigt !“

Als Sargträger erwiesen gute Nachbarn dem Toten den letzten Ehrendienst. Wurde ein
Nachbar als Träger übergangen, war das eine Beleidigung. Auch der Leichenzug hatte
eine strenge Ordnung:
Vorneweg ging der Träger des Kreuzes (meist der Schreiner als Sarglieferant), begleitet
von den Leichenbuben“ (Ansager der Beerdigung), danach der Chor (wenn die Trauerfeier
vom Gesangverein umrahmt wurde). Als nächstes folgt der Sarg mit Trägern, hinter dem
Sarg der Pfarrer und die nächsten männlichen Verwandten, danach die übrigen männlichen
Trauergäste. Erst dann kamen die weiblichen Leidtragenden, zum Schluss die übrigen Frauen.

Zum Leichenschmaus (Kaffee und Kuchen, überwiegend Hefezopf und Rührkuchen) nach der
Beisetzung wurden außer den Verwandten  auch die Träger eingeladen (diese erhielten aber
als Vesper meist Kartoffelsalat und heiße Fleischwurst).